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Vincent Hunink

review of: 

M. Annaei Lucani, Bellum civile liber X, a cura di Emanuele Berti,

 Firenze: Felice le Monnier, 2000.  ISBN 88-00-81295-3


Text published in: Gnomon 54, 2004, 171-3;


[S.171] Lukans Bellum civile hat sich in letzter Zeit einer erheblichen Popularität erfreuen können, wie sich aus der ständig wachsenden Zahl der Ausgaben, Übersetzungen und Studien leicht erkennen lässt.[1] Doch bei aller Begeisterung der Forscher am 'heissblutigem', jungen Dichter aus Cordoba und seinem paradoxalen, provozierenden (Anti-)Epos vom Bürgerkrieg zwischen Cäsar and Pompeius, hat das Interesse allgemein nur den ersten neun Büchern gegolten, die alle von erheblicher Länge sind (Buch 9 zählt sogar 1108 Verse).

Merkwürdigerweise hat das verhältnissmässig kurze zehnte Buch (mit nur 545 Verse) eigentlich kaum die Aufmerksamkeit der Gelehrten auf sich lenken können, ausgenommen Manfred Schmidt, der in 1986 einen ausführlichen Kommentar zum ersten Teil des zehnten Buches veröffentlichte.[2] Die Ursache wird wohl darin gelegen sein, dass die narrative Spannung sich nach dem Tod des Pompeius (Buch 8) und den ereignisvollen Episoden mit Cato in der afrikanischen Wüste (Buch 9) deutlich senkt. Buch 10 handelt nur von Caesar, der jetzt eigentlich ohne Gegner ist, es sei denn, man müsste die ägyptische Herrscher oder Königin Kleopatra als solche bezeichnen. Eine andere Ursache der relativen Vernachlässigung könnte vielleicht die komplexe Frage nach der Unvollendetheit des Bellum Civile sein, die sich selbstverständlich sofort bei der Analyse des letzten Lukan-Buches stellt. In letzter Zeit hat die Minderheitsthese des Haffter aus 1957, das Epos sei nicht, wie [S. 152] es scheint, unvollendet, sondern im Gegenteil ganz bewusst vom Dichter so gestaltet worden, nur Beifall gefunden bei Jamie Masters, der ihr allerdings aus aller Kraft neues Leben einzuhauchen versucht hat.[3]

Bei dieser Forschunglage ist der neue, italienische Kommentar zu Buch 10 von Emanuele Berti recht willkommen, vor allem da er sich nicht, wie der oben genannte Kommentar von Schmidt, zum ersten, wichtigsten Textabschnitt beschränkt, sondern das zehnte Buch integral behandelt.

Die Ausgabe, eine überarbeitete italienische Dissertation,[4] enthält einen lateinische Text, der im Grunde dem Text des Housman genau folgt (von dem Berti nur in etwas 15 Fallen abweicht) und der mit einem selektiven Apparat versehen ist. Vorher kommt eine ziemlich knappe Einleitung (nur 31 Seiten). Das Hauptteil der Ausgabe wird selbstverständlich eingenommen vom Kommentar, dass sich auf 288 Seiten ausgedehnt hat, die nicht kleingedruckt sind, wie es bei Kommentaren leider oft der Fall ist, sondern in typografischer Hinsicht als recht 'Leserfreundlich' bezeichnet werden können. Eine kurze, aber gute Bibliographie (16 Seiten) und drei Indizes (18 Seiten) schliessen den (kartonnierten) Band.

In seiner Einleitung befasst Berti sich mit nur zwei Themen. Erstens gibt er im Überblick eine Analyse der Hauptmotiven des zehnten Buches, namentlich Ägypten als das Land des Luxus und der Umkehrung aller römischen Werten, und Alexander als Modell von Cäsar. Zweitens behandelt er recht ausführlich (S. 25-41) die Streitfrage der vermeinten Vollendung des Bellum Civile, so wie sie von Masters verteidigt worden ist. Nach einer eingehenden Diskussion der unterschiedenen externen und werkinternen Indize, kommt Berti zur Schlussfolge, alles weise darauf, dass Lukan noch andere, weitere Episoden vorhergesehen hat, die er aber nicht mehr hat ausarbeiten können. Das Werk ist daher, wie es die Mehrheit der Forscher seit Langem annimmt, als unvollendet anzusehen.

Mit diesem überzeugenden Ergebnis endet die Einleitung, was allerdings recht unerwartet ist. Man hätte sich zumindest noch einige methodische Aüsserungen gewünscht, ins Besondere zum Stand der neueren Forschung, und zur Stellung, die der Verfasser in den vielen Debatten zu Lukan einnimmt. Man denke z.B. an die wesentliche Frage nach Lukans vermeintem Engagement: ist dieser Dichter ein ernstzunehmender, politischer Denker und Opponent des Kaisertums, oder ein geniales Kind der Retorenschule, der seinem Gedicht ein Maximum an Pathos und Paradoxalität beimischen will? Vor allem aber vermisst man eine klare Auseinandersetzung mit dem vorhandenen Kommentar von Manfred Schmidt, das zwar auf der ersten Seite <<un ricco e puntuale commento>> und <<un importante punto di referimento anche per il presente laboro>> genannt wird und auch in die Einzelbetrachtungen im Kommentar mit einbezogen wird, nirgendwo aber ein klare Stellungnahme von Berti hervorlockt.

Wo sich zwischen Schmidt und Berti einen Vergleich machen lässt (also im Kommentar zu den ersten 171 Versen), kann man erstens bemerken, dass Schmidt sehr viel mehr Material bietet (etwa 250 Seiten Kommentar zu dem angedeuteten Passus, gegen etwa 100 bei Berti). Im Allgemeinen ist Schmidt deutlicher interessiert an Strukturfragen und liefert er reichlichere Belege und Parallelen für Worte, Versschlüsse, syntaktische Abweichungen, u.s.w. Berti gibt auch hier alles Nötige, aber kürzer gefasst and daher vielleicht in einer praktischeren Form für die meisten Lukan-leser, die an erster Stelle Hilfe und nähere Erklärungen bei der Lektüre suchen.

Ein kleines Beispiel möge dies verdeutlichen. In der Szene im Palast des Kleopatras besingen einige Verse die unerhörte Luxus von Egypten (V. 155-8):

Infudere epulas auro, quod terra quod aer,

quod pelagus Nilusque dedit, quod luxus inani

ambitione furens toto quaesiuit in orbe

non mandante fame...

Schmidt bespricht zu 155 zuerst den Tempusgebrauch (Perf.historicum), den Dativ bei infundo, und die Metonymie auro=aureis vasis, alle mit Belegen. Dann zeigt er wie die Fülle der Speisen die traditionelle drie Weltregionen illustriert (hier [S.173] nach dem Schema Erde-Luft-Wasser), und stellt die Frage, ob hier vielleicht ein Sakrileg angedeutet wird (angesichts 9,578 estque dei sedes nisi terra et pontus et aer). Dedit, so Schmidt, deutet nicht auf paradisische Verhältnisse, sondern auf ein unfreiwilliges Geben der Natur. Zu 156 bespricht er, auch wieder mit Belege, das 'Dekadenzproblem', die luxuria-Kritik und die Nähe zur Popularphilosophie der Zeit. Für inani ambitione verweist er auf Hor. epist. 2,2,206f. und auf einen ähnlichen Gedanken bei Petron. 120,84f. Zu 158 non mandante fame, schliesslich, zitiert und bespricht er eine Bemerkung Lemaires (auf lateinisch!) zur Satzverteilung und Interpunktion, gefolgt von manchen Stellen, wo Hunger und Durst als Massstab eines naturgemässen Lebens gelten, und einer Parallelstelle für den Gebrauch von mandare. (Schmidt 1986, S. 239-241).

Berti braucht hier, wie anderswo, weniger Platz. Zu 155 gibt er zuerst eine hilfreiche Übersetzung (<<Servirono le vivande in stoviglie d'oro>>, mit der Bemerkung, dass man die Diener dazu denken muss. Dann folgen Bemerkungen zur polemischem Ziel und der Metonymie von aurum (mit Belegen). Im Lemma zu 155-156 zitiert er u.a. Ov. met. 8,830f. als <<evidente reminiscenza>>, eine Stelle die von Schmidt eher nebenbei erwähnt wird, sowie mehrere Stellen zum Motif `Essen und Trinken aus aller Welt', die  in Schmidt auch zu finden sind, aber wenig klar zusammengestellt sind. Zu luxus inani fehlt auch bei Berti die passende Horaz-Stelle nicht. Das Lemma zu 158 non mandante fame befasst sich ausschliesslich mit dem moralischen Thema 'Funktionsverlust der Nahrung, die nur noch dem Genuss dient', wozu einige Stellen aus vor allem Seneca zitiert werden. Einige stehen auch bei Schmidt, aber Bertis lemma ist etwas hilfreicher (Berti, S. 152-3).

Wie aus diesem kurzen Vergleich hervorgeht, sind beide Kommentare im Einzelnen nicht sonderlich verschieden. Die Hauptsachen werden von beiden Gelehrten erwähnt, wenn auch Berti die Information meist kürzer fasst und deutlicher gegliedert dem Leser präsentiert.

Die Kraft des neuen Buches steckt daher nicht gerade in einer methodischen Erneuerung, da Berti, von Einzelstellen abgesehen, keine grossen Fortschritte in der Interpretation erzielt und sein Kommentar ziemlich konventionell wirkt. Das Wichtigste dürfte aber sein, dass jetzt zum ganzen zehnten Buch taugliches und zuverlässliches Material zur Verfügung steht. Vielleicht hätte der Verfasser sich am Ende besser für die englische Sprache entscheiden können, um so ein grösseres Publikum zu erreichen. Sein italienisch ist andererseits durchausl klar und gut lesbar. Bertis Kommentar wird Studenten und Lesern Lukans ohne Zweifel gute Dienste leisten. Ob er auch das zehnte Buch des bellum civile bei den Lesern beliebter machen wird, bleibt allerdings eine offenen Frage.


    [1] Man siehe z.B.: P. Esposito , L. Nicastri, Interpretare Lucano. Miscellanea di Studi. Università degli studi di Salerno, Naples, 1999; ich verweise hier namentlich auf die in dieser Sammlung aufgenommene, von dem ersten der beiden Herausgeber verfasste Übersicht der neueren Lukan-Forschung.

    [2] Manfred Schmidt, Caesar und Cleopatra, philologischer und historischer Kommentar zu Lukan 10, 1-171, Frankfurt am Main (u.a.): Peter Lang, 1986.

    [3] Jamie Masters, Poetry and civil war in Lucan's 'Bellum Civile', Cambridge (et.al.): Cambridge University Press, 1991, 216-259.

    [4] Die Dissertation ist, laut des Vorworts, im Juli 1998 an der Universität Pisa verteidigt worden.

 


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