OF: Stefan Freund, Vergil im frühen
Christentum, Paderborn et al. 2000 published
in: Mnemosyne 56, 2003, 368-9 Daß
der heidnische Dichter Vergil auf viele christliche Schriftsteller großen
Einfluß ausgeübt hat, ist nichts Neues. Wer z.B. in den Werken Augustins
liest, wird vielerorts Zitate und Anspielungen auf Vergil vorfinden. Es ist denn
auch recht einsichtlich, daß der Mann, der als Roms größter Dichter gilt und
dessen Werke bereits im Altertum für den Elementarunterricht in der Schule
verwendet wurden, auch bei Kirchenvätern eine große Rolle spielt, sowohl
stilistisch als inhaltlich. In
seiner Studie zu diesem Thema untersucht Stefan Freund (fortan F. ) etwa 200
Vergilzitate aus der lateinischen christlichen Literatur zwischen 197 und 310.
F. befaßt sich vor allem mit den frühesten christlichen Schriftstellern, da
die spätere Periode (das vierte und fünfte Jahrhundert) in der Forschung schon
ziemlich eingehend behandelt worden ist. Der bereits genannte Augustin ist
dementsprechend nicht im Buch vertreten, aber auch ein Autor wie Laktanz wird
der späteren Periode zugerechnet and daher nicht weiter analysiert. Eine zweite
Beschränkung des Buches besteht darin, daß Dichter außer Betracht bleiben. So
bleibt z.B. Commodian unberücksichtigt. Trotz dieser Beschränkungen zählt das
Buch immerhin noch über 400 Seiten. Bereits
zu Anfang wird klar, daß hier eine (überarbeitete) Dissertation vorliegt: Die
Einleitung enthält unter anderem verschiedene detaillierte Vorüberlegungen zur
Methodik und Vorgehensweise der Arbeit. Im zweiten Teil stehen die fünf im
Titel genannten Autoren im Mittelpunkt. Jedem widmet F.
ein Kapitel, das systematisch aufgebaut ist: Forschungslage, Überblick
der Vergilzitate, ergänzt durch einzelne Betrachtungen zu den Werken des
jeweiligen Autors. Dann folgen eine Auswertung, sowie drei weitere Analysen der
Zitate (Formen und Veränderungen; Verteilung und Position; Herkunft und
Thematik). Jedes Kapitel endet mit einer Betrachtung über Funktion und
Bewertung der Ergebnisse. Im dritten Teil werden alle Ergebnisse noch mal im
Zusammenhang erörtert, wobei sowohl 'Linien der Individualität' als 'Linien
der Kontinuität' in Betracht gezogen werden. Ein recht ausführlicher Anhang
(Parallelen, Indizes und Literaturverzeichnis) beschließt den Band. Selbstverständlich
stellt sich heraus, daß die behandelten Autoren sich nicht alle in der gleichen
Weise mit Vergil auseinandersetzen. So ist Vergil bei Tertullian vor allem nach
den Regeln rhetorischer Routine vertreten und wird oft recht unsorgfältig
zitiert, während die Situation bei Minucius Felix dem fast entgegengesetzt ist.
Die Überblicke über Novatian und Cyprian zeigen, wie Vergil allmählich in die
christliche Literatur eindringt: Hier fallen nicht sosehr Zitate auf, als
Bruchstücke vergilischer Sprache, wobei das spezifisch Poetische in den
Vordergrund tritt (anders als z.B. bei Tertullian). Die Entwicklung verstärkt
sich beiArnobius, der Vergilworte vor allem zur Darstellung der heidnischen
Religion verwendet, meist ohne den Dichter unmittelbar zu zitieren. Im
Ganzen liefert das Buch eine überzeugende Analyse der Rolle, die Vergil bei den
fünf christlichen Schriftstellern gespielt hat. In seiner streng methodischen
Gestaltung gibt es jedem Zitat einen detaillierten Kommentar bei, der
hilfreiches Material enthält (z.B. Parallelen, Verweisungen auf den TLL und auf
weitere Sekundärliteratur). Es
fragt sich jedoch, ob die untersuchte Thematik eine so ausführliche und
systematische Behandlung verdient. Ich konnte bisweilen den Wunsch nach einer
weniger strengen, eher literarischen Betrachtung des Themas kaum unterdrücken.
Eine sinnvolle Materialsammlung und Materialanalyse bietet das Buch gewiß,
Lesevergnügen indessen eher wenig. Eine
zweite kritische Anmerkung betrifft einen grundsätzlicheren Punkt: die Wahl der
Zitate. Laut S. 23 (mit Anm. 1) hat sich F. beim Zusammentragen der Zitatevollends beschränkt auf die Indizes
der bestehenden Ausgaben, sowie auf vorhandene Materialsammlungen, Kommentare
und Similienapparate. Auf eigene Suche nach neuen Zitaten wurde also verzichtet,
und zwar aus dem (eher befremdenden) Grund, daß eine Mehrung der Zitate nur
ihre Zahl erhöht hätte, nicht jedoch mehr hätte leisten können : Vollständigkeit
sei in keinem Fall zu erreichen gewesen. Hier darf man doch wirklich bemerken,
daß der Verfasser sich unnötig traditionell und abhängig zeigt, und daß sein
Werk in wissenschaftlicher Hinsicht weniger anspruchsvoll ist als man zunächst,
im Licht seiner rigorösen Methodik, anzunehmen geneigt ist. Immerhin
wirft das Buch ein deutliches Licht auf den Einfluß Vergils bei den behandelten
Autoren, und es wird Vergilinterpreten und anderen Forschern sicherlich gute
Dienste leisten.
Stefan Freund, Vergil im frühen Christentum, Untersuchungen zu den Vergilzitaten bei Tertullian, Minucius Felix, Novatian, Cyprian und Arnobius, (Studien zur Geschichte und Kultur des Altertums, 16) (Ferdinand Schöningh) Paderborn/München/Wien/Zürich 2000; 430 S.; ISBN 3-506-79066-X. latest changes
here: 30-07-2012 16:01
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