'Mit Martial ins Amphitheater'* Text publiziert in: Ariadni, (Epistimoniki Epetirida tis philosophikis scholis, Panepistimio Kritis; University of Crete) 11, 2005, 165-179 [p165>] Der römische
Dichter Martial (etwa 40-103) ist vor allem bekannt als Verfasser einer Vielzahl
derber, erotischer Epigramme. Lange Zeit war die Lektüre seines Werks daher
eher Gelehrten und besonderen Leserschaften vorbehalten. Es ist tatsächlich
noch nicht so lange her, dass zweisprachige Martial-Ausgaben an bestimmten
Stellen eine Übersetzung einfach unterliessen oder eine dritte Sprache benützten.[1]
In neuerer Zeit sind viele Hemmungen in diesem Bereich verschwunden, und der
ganze Martial ist jetzt auch in vielen Sprachen einem breiten Publikum zugänglich
gemacht worden. Wo allerdings
der Reiz des Verbotenen nicht länger wirksam ist, ist der Martialischen
erotischen Poesie einiges seiner traditionellen Anziehungskraft genommen worden.
Das hat aber auch neue, bis vor kurzem fast verschlossene Bereiche dieser Poesie
für die Martialforschung eröffnet. Ich nenne hier beispielsweise die
Kommentare van T.J. Leary zu den letzten, oft vernachlässigten Büchern 13 und
14 über kleine Geschenke, oder die Studie von Sven Lorenz zu den
Domitiangedichten,[2]
wobei der Dichter die Kunst des Schmeichelns fast bis zur Perfektion zu
beherrschen scheint. Gerade in solchen 'niedrigen' Bereichen, wo man römischen
Autoren von jeher eine poetische Inspiration abgesagt hatte, erweist Martial
sich als ein selbstbewusster, [p166>]
erfinderischer und fachkundiger Dichter.[3] In diesem
Beitrag möchte ich einem kleinen, relativ wenig bekannten Martialbuch
Aufmerksamkeit widmen, dem so genannten Liber Spectaculorum ('Buch der
Spiele'). Weil dieses Buch nicht zum Normalcorpus der Martialbücher gerechnet
wird, steht es ziemlich isoliert da, sowohl in der handschriftlichen Überlieferung
als auch in der literarischen Interpretation. In Martialausgaben wird es
meistens als Einzeltext den restlichen, nummerierten 14 Büchern vorangestellt.
Ich hoffe zeigen zu können, dass es sich lohnt, diesen Text näher zu
betrachten. Fakten und Hypothesen Martials 'Buch
der Spiele' wird allgemein als sein erstes veröffentlichtes Werk betrachtet,
das aus Anlass der Eröffnung des Kolosseums in Rom durch Kaiser Titus (im Jahre
80 n.Chr.) gedichtet sein soll. Genau betrachtet, können wir hier allerdings
nicht so sicher sein, da harte Beweise dafür fehlen, dass die Gedichte tatsächlich
im Jahr 80 publiziert worden sind. Wie so oft bei antiken Texten, müssen wir
uns mit den Aussagen in den Texten selber zufrieden geben, so mehrdeutig sie
auch sind. Wie dem auch
sei, das Büchlein enthält auf jeden Fall nur Epigramme im traditionellen Maß
des Distichons, mit einer Länge zwischen zwei und zwölf Zeilen und etwa dreißig
an der Zahl. Manche Epigramme müssen vielleicht in zwei Hälften aufgeteilt
werden, die selbständig zu lesen sind, aber für den Umfang des Ganzen ist dies
von keiner Bedeutung. An sich betrachtet, stellt dieser Umfang freilich ein
Problem dar: Das Buch ist nämlich etwa nur halb so groß wie ein normales römisches
Poesiebuch, wie z.B. Martials sonstige Bücher. Es liegt daher auf der Hand
anzunehmen, dass ungefähr die Hälfte des ursprünglichen Textes irgendwie
verloren gegangen ist und dass wir nur die andere Hälfte des Buches besitzen,
entweder als eine zusammenhängende Komposition oder als eine Textauswahl. Die
Unsicherheiten gehen leider noch weiter. Um hier noch einiges zu erwähnen: Es
besteht keine Gewissheit über die genaue Zuordnung der Zeilen zu den einzelnen
Gedichten, indem die Grenzen dazwischen nicht immer klar sind. Auch der genaue
Titel des Buches ist nicht bekannt: heißt es Liber de Spectaculis oder Liber
Spectaculorum oder gar Liber Epigrammaton?[4]
Und fast unvermeidlich gibt es auch erhebliche Probleme mit der lateinischen
Textkonstitution, da die Überlieferung schwach ist.[5]
Um die Sache nicht weiter zu komplizieren, übergehe ich hier die in der
Forschung [p167>] umstrittenen
Punkte und halte mich einfach an die communis opinio zum Buch der Spiele.
Ich glaube, es lohnt sich kaum, hier neue Hypothesen aufzustellen. Im Grunde
halte ich mich an die letzte kritische Edition mit Kommentar des Italieners
Francesco Della Corte.[6]
Nehmen wir dabei einfach an, die Sammlung sei zur Zeit Martials zwei Mal so groß
gewesen und sei irgendwann später gekürzt worden, aus irgendwelchem Grund. Und
Martial habe die Sammlung wirklich wohl geschrieben aus Anlass des Baus des
Kolosseums und vor allem der Einweihungsfesten im Jahr 80. Andere Möglichkeiten
sind inzwischen sicherlich nicht ausgeschlossen: Das Ganze wäre auch denkbar
als reine dichterische Phantasie über ein fiktives Gebäude oder als
schmeichelhafte Darstellung späterer Spiele von Domitian,[7]
aber der Bau des Kolosseums ist wohl die wahrscheinlichere Möglichkeit. Es ist nicht
allzu schwierig, sich einigermaßen in die soziale und literarische Position
Martials einzuleben. Als geborener Spanier für seine höhere Ausbildung 64 nach
Rom gekommen, war er nach Abschluss seiner Studien vermutlich in eher dürftige
Verhältnisse geraten und von patroni abhängig geworden und wollte er
sich irgendwie als Schriftsteller beweisen. Sein dichterisches Talent hatte sich
vermutlich schon gezeigt, aber breite Anerkennung hatte er sicherlich noch nicht
bekommen: Es fehlte einfach eine überzeugende, große, poetische Leistung. Als
nun die Bauarbeiten für das Kolosseum liefen, muss der junge, ehrgeizige
Dichter die Gelegenheit für günstig gehalten haben. Titus führte den Bau auch
wirklich zu Ende und entschied sich zu ganz großen Festlichkeiten anlässlich
der offiziellen Eröffnung des Amphitheaters. Es wurde bekannt gegeben, dass es
außergewöhnliche Tierkämpfe sowie Massenexekutionen, Gladiatorenkämpfe und
Wassershows geben werde, alles in einem Ausmaß, wie es noch nie zuvor von
Menschenaugen gesehen worden war. Martials Gedanke scheint klar: Jetzt könne er
seine dichterischen Fähigkeiten zeigen und dabei gleichzeitig die Gunst des
Kaisers erwerben. Interpretation Es dürfte
wohl klar sein, dass man über diesen Text nur sinnvoll sprechen kann, indem man
sich damit abfindet, dass es sich von Anfang an eher um Interpretationen und
Vermutungen handelt als um objektiv feststellbare Tatsachen. Im Folgenden wird
daher oft interpretiert und vor allem über Fragen der literarischen Gestaltung
und der weiter liegenden Absichten des Dichters nachgedacht. Dreißig kurze
Epigramme bilden ein [p168>] recht
übersichtliches Corpus, und vielleicht lässt sich doch etwas Vernünftiges zur
Komposition sagen.[8] Die ersten
drei Epigramme (1-3) sehen so aus, als seien sie wirklich die Eröffnungsgedichte
des originellen Buches, und viele nehmen an, dies sei tatsächlich der Fall. Das
erste Gedicht rühmt das neue Gebäude als eines der Weltwunder. Besser gesagt:
Keines der Weltwunder wirkt noch beeindruckend neben Caesars Amphitheater. Kein
Wunder also, dass alle Völker der Welt nach Rom strömen, um das mitzuerleben
(c.3). Das mittlere Öffnungsgedicht (c.2) behandelt die Geschichte der
Baustelle, namentlich durch einige politisch geladene Erinnerungen an Neros Domus
Aurea, und auch hier ist die Lobpreisung schlicht und klar. Zusammengenommen
wirken die drei Epigramme ziemlich konventionell und ich gehe hier nicht weiter
auf sie ein. In der
weiteren Sammlung finden sich Gedichte mit verschiedenen, zusammenhängenden
Themen, die aber nicht einfach gruppiert sind, sondern quer durch die Sammlung
zerstreut stehen. Eines der wichtigsten Motive ist das der Tiere. Der Leser erfährt
manches über Bären, Stiere, Löwen, Rhinozerosse, ein Schwein mit Jungen, ein
anderes Schwein, ein Wildschwein, Elefanten, einen Tiger, einen Panther, einen Büffel
und einen Bison, einen Hirsch und Hunde.[9]
Das ist immerhin eine beachtliche Liste von wilden Tieren, die sicherlich die
Schlussfolgerung zulässt, die Festspiele waren durch besondere Tiershows geprägt.[10] Dazu kann noch
bemerkt werden, dass Tierkämpfe sehr üblich waren bei römischen Spielen,[11]
und zwar in zwei Hauptvarianten. Beide sind in Martials Buch, und daher
wahrscheinlich auch in den Shows, vertreten. Die erste Variante ist die, bei der
Tiere gegen andere Tiere kämpfen,[12]
die zweite betrifft Einzelkämpfe von Tieren gegen Menschen. Ein auffälliges
Beispiel der letzten Kategorie ist c.6, ein Epigramm in zwei Varianten: Belliger
inuictis quod Mars tibi seruit in armis,
non satis est, Caesar. Seruit et ipsa Venus. [p169>] Prostratum uasta Nemees in ualle leonem
nobile et Herculeum fama canebat opus. Prisca
fides taceat: nam post tua munera, Caesar,
hoc iam femineo Marte fatemur agi.[13] Man kann sich
freilich fragen, inwieweit es sich hier um realistische Vorgänge handelt. In
manchen Fällen vertritt der Text deutlich die poetische Sicht des Dichters.
Vielleicht gab es tatsächlich ein bestimmtes Ereignis in der Arena, aber was zählt,
ist vor allem die poetische Schilderung oder Deutung im Epigramm. Als Beispiel
kann c.22 dienen, wo Dompteure versuchen, einen Rhinozeros aufzuhetzen. Anfangs
scheint es nicht zu gelingen, aber dann wird das Tier doch noch wild, nimmt
einen großen Bären auf die Hörner und wirft ihn in die Luft, wie ein Stier
sein Spielzeug. Anscheinend
ist dies ein einfacher, klarer Text, aber wie soll man sich das vorstellen?
Einen Bären in die Luft werfen, kann ein Rhinozeros das überhaupt? Er ist wohl
eher auf ihn losgegangen und hat ihn umgeworfen. Es ist aber gerade die
unglaubliche Übertreibung, die dem kleinen Gedicht seinen Reiz verleiht. Außerdem
wird hier ein kleines literarisches Spiel getrieben, denn Martial hat eben in
dieser Sammlung auch ein Epigramm, in dem tatsächlich ein Stier etqas wie ein
Spielzeug aufwirft, aufgenommen.[15] Es handelt
sich hier also um eine kleine Kette von Epigrammen, die thematisch zusammenhängen
und ihre Wirkung vor allem dieser inneren Verknüpfung und [p170>]
spielerischen Variation der Motive verdanken. Es geht also im Grunde nicht
um die 'reellen' Ereignisse, sondern um die geschickte Gestaltung und das schöne
Spiel. Etwas Konkretes wird Anlass zu einem kunstvollen Text. Zwei andere
Bespiele solcher 'Ketten' seien hier noch kurz vorgestellt. Eine ganz deutliche
dichterische Gestaltung zeigt sich beim Motiv 'Tiere erkennen die Göttlichkeit
des Kaisers an'. Der Elefant in c.17, der Hirsch in c.29, vielleicht auch der Löwe
in c.10, spüren alle die Macht des
Kaisers. Das ist eine offensichtliche Schmeichelei, wozu der Dichter die Fakten
gerne auf eine bestimmte Weise darstellt. Das Spiel der literarischen Variation
kennt noch eine andere, auffälligere Form, die 'Tema con variazioni' genannt
werden dürfte. Ein einziges 'Ereignis' wird auf mehrere Weisen beschrieben,
immer mit einer anderen Pointe. Das Prunkstück in diesem Bereich ist die Reihe
c.12-13-14, eine dreifache Variation des Motivs des 'trächtigen
Mutterschweins', das getroffen wird und stirbt, wobei es zugleich seine Kleinen
gebärt. Im Mittelpunkt in allen drei Versen ist der Kontrast zwischen Sterben
und Leben, zwischen Leben-lassen und Leben-geben, zwischen Kampf und Geburt. Der
Dichter findet hier manche Paradoxe und kluge 'Puns'. Dabei ist es
bemerkenswert, dass die Varianten immer kürzer werden: 8, 6 und 4 Zeilen. Wie
die theatralischen Ereignisse auch gewesen sein mögen, die Wirklichkeit weicht
hinter dem Text zurück: Martial hat sie für etwas Kunstvolles benützt. Hinrichtungen Eine für uns
geradezu noch auffälligere Rolle für wilde Tiere ist bis jetzt noch nicht
genannt worden. Gemeint ist die Verwendung von Tieren als Instrumenten zur
Hinrichtung von wehrlosen Opfern, wobei also nicht gekämpft, sondern nur
abgeschlachtet wird. In vier Epigrammen (c.5, 7, 8, 21) wird dieses Motiv
ausgearbeitet. Einige dieser bemerkenswerten Texte seien hier etwas ausführlicher
behandelt. Die
Hinrichtung von Gefangenen und geflüchteten Sklaven ist immer ein normaler Teil
römischer Spiele gewesen,[16]
aber Martial konfrontiert den Leser mit einer besonders grausamen, typisch römischen
Hinrichtungsweise. Der Verurteilte wird irgendwie festgebunden oder
immobilisiert und dann zum Opfer wilder Tiere gemacht, die auf ihn losgehen und
ihn, wenn möglich, tödlich verwunden. Das Besondere dabei ist, dass der
Verurteilte nach einem mythologischen Muster dargestellt und gekennzeichnet ist.
Der Tod wird also 'dramatisiert' und fiktionalisiert, offensichtlich zum Vergnügen
der Zuschauer. Martials Gedichte sind die ersten Zeugnisse solcher
Hinrichtungen, und nach ihm wird nicht viel häufig darüber gesprochen.[17] Epigramm 5
gibt mit seinen nur vier Zeilen ein für viele geradezu äußerst schockierendes
Bild. [p171>] Iunctam Pasiphaen Dictaeo credite tauro;
uidimus, accepit fabula prisca fidem. Nec
se miretur, Caesar, longaeua uetustas.
Quidquid fama canit, praestat harena tibi.[18] Man bekommt
den Eindruck, dass in der Arena eine Frau zum Geschlechtsverkehr mit einem Stier
gezwungen wird; die Leute lachen darüber und die Frau wird wohl gestorben sein.
Die Frage kann aber auch hier lauten: Wie soll man sich das vorstellen? Grausam
und ekelhaft muss es schon gewesen sein, aber während der Stier 'sein Vergnügen
hat', wird er die Frau wohl nicht haben toten können. Außerdem ist es fast
unvorstellbar, dass die Römer eine Bestialität tatsächlich, faktisch auf die
Bühne brachten.[19] Das Gedicht
wird aber von einigen Interpreten anders erklärt: Die Frau wurde entweder persönlich
oder versteckt in einer Art Holzverkleidung mit der Exkretion einer brünstigen
Kuh eingestrichen, was den Stier sehr aufregte und wüst machte. Das Tier legte
dann auf sie los und sie starb. Diese zweite
Erklärung ist sicherlich besser in dem Sinne, dass das Ereignis im Theater
wenigstens vorstellbar ist.[20]
Es kann allerdings noch eine dritte Erklärung gegeben werden, die vom ersten
Wort des Epigramms abhängt: iunctam. Die sexuelle Konnotation ist hier
fraglos sehr stark, aber iungere bedeutet nicht nur 'sich sexuell
vereinigen', sondern auch einfach 'verbinden', 'festbinden'. Das theatralische
Ereignis kann daher folgendes gewesen sein: Die Frau wurde buchstäblich am
Stier festgebunden, so dass sie an seiner Unterseite hing. Das Tier wurde durch
irgendetwas aufgehetzt, lief herum oder griff etwas an, stieß auf Gegenstände
und Wände, womit er die Frau verwundete und wodurch sie in grausamster Weise
starb. Der Witz mag dann für das Publikum klar gewesen sein, indem die Frau als
Pasiphaë ausgestattet war. Der Mythos wurde so in ironischer Weise parodiert
und gesteigert.[21] [p172>]
Im zweiten Hinrichtungsvers, c.7, wird ein Mann, der als der Räuber
Laureolus ausgestattet ist, festgebunden (wahrscheinlich: auf ein Kreuz gelegt)
und von einem Bären angegriffen. Der Dichter ist mit allem völlig
einverstanden: Der Mann verdiene ja nicht besser, er habe ja 'viel Schlimmeres'
getan als der echte Laureolus.[22] Die
Hinweisungen auf die Vergangenheit sind hier noch etwas komplizierter. Auf der
mythischen Ebene wird die Figur des 'Laureolus' mit dem Mythos von Prometheus
und seinem Adler verglichen. Das Opfer wird aber auch mit einem historischen
Laureolus verglichen, einem Räuber, der unter Caligula lebte und hingerichtet
wurde. Außerdem wissen wir,[23]
dass es einen Mimus über diesen Stoff gegeben hat, womit auch die literarische
Ebene mit einbezogen wird. Die theatralische Wirklichkeit übersteigt also nicht
weniger als drei andere Ebenen: Die mythischen, historischen und literarischen
Beispiele werden übertroffen. Als letzter Schritt, so darf hinzugefügt werden,
wird die einmalige theatralische Wirklichkeit an sich wieder von der poetischen
Darstellung Martials überboten. Das Epigramm selber bildet also die eigentliche
Klimax des ganzen Geschehens. In Epigramm 8
sieht man vor allem, wie humoristisch der Dichter die grausamen Hinrichtungen
betrachtet. Daedale,
Lucano cum sic lacereris ab urso,
quam cuperes pinnas nunc habuisse tuas![24] Mit der Figur
des Daedalus sind wir inhaltlich nicht weit von dem Pasifaë-Gedicht:
Anscheinend handelt es sich um eine Art 'kretischer' Gesamtinszenierung. Hier
wurde ein Mann wohl aufs Kreuz geschlagen oder in ein 'Labyrinth' eingeschlossen
(oder gar von einer Maschine hochgezogen und heruntergeworfen) und dann von
einem Bären angegriffen. Da das Gedicht im Grunde recht wenig aussagt, ist der
Leser gezwungen, die eigene Vorstellungskraft einzusetzen, um sich ein Bild zu
machen von dem, was in der Arena passierte. Er wird sozusagen vom Dichter
aktiviert und ohne weiteres ins blutige Spiel mit einbezogen. Indessen ist der
Spott des Dichters hart und erbarmungslos. Das vierte und
letzte Hinrichtungsgedicht, c.21, ist wieder ein 'Tema con variazioni'. In ein
Mal acht und ein Mal zwei Zeilen wird eine durchaus theatralische Gestaltung
geschildert. Ein 'Orpheus' wird von einem Bär zerrissen in einem natürlich
anmutenden Dekor mit Bäumen, Steinen, goldenen Äpfeln, und weiteren, bekannten
[p173>] Elementen. Auch hier tritt
der schonungslose Spott hervor: Der Bär lässt sich von allem Dargebotenen
nicht bezaubern und ingratus ('undankbar') zerfleischt er den Sänger.
Und auch hier lassen sich mehrere Schichten in der Darstellung unterscheiden,
vom Mythos bis zur Malerei und plastischen Kunst. Das Gedicht spielt auf
geschickte Weise mit dem Stoff und präsentiert sich selbst als dessen
Kulmination.[25] In allen vier
Hinrichtungsepigrammen fällt auf, wie sehr der Dichter seinen Stoff manipuliert
und mit wie viel Ironie und Spott[26]
er den Leser unterhält und in die Interpretation mit einbezieht. Außerdem fällt
hier noch ein deutliches Leitmotiv auf: Es wird betont, wie sehr das in der
Arena Präsentierte 'besser ist als alles, was es im Altertum je gegeben hat'.
Hier geht es vornehmlich um die antiken Mythen, die nicht so sehr nachgeahmt,
sondern eher verbessert werden. Das Motiv lässt sich auch in manchen anderen
Gedichten der Sammlung nachweisen.[27]
Dabei kann die Hauptrolle des Kaisers kaum übersehen werden: Als derjenige, der
alles leitet und für den alles veranstaltet wird, steht er in diesen
Epigrammen, wie auch sonst, zentral. Inzwischen fällt auch auf, wie
selbstbewusst sich der Dichter äußert: Durch seine ironische Distanz und sein
technisches Können scheint es, als hätte er schon viele Jahre Erfahrung auf
poetischem Gebiet. Im vermutlichen Schlussgedicht (c.31) steht zwar noch eine
Bescheidenheitsäußerung, aber die lässt selbstverständlich einen großen
dichterischen Stolz und Ehrgeiz vermuten. Von Tierkämpfen
und Exekutionen abgesehen, beschränken sich die sonstigen Motive auf zweierlei:
Gladiatorenkämpfe und besondere Shows mit dem Element 'Wasser'. Diese beiden
Motive sind vor allem am Ende der Sammlung vertreten, aber in einem eher beschränkten
Ausmaß im Vergleich zu den vorigen Themen.[28]
Auch hier lassen sich vergleichbare Beobachtungen machen wie in anderen
Bereichen: Der Dichter [p174>] konzentriert
sich auf das Einzigartige und Sonderbare, das beschriebene Ereignis ermöglicht
einen Lobpreis des Kaisers und übersteigt alles aus dem Altertum. Kleine Witze,
Ironie und Distanz zeichnen auch hier die Aussagen des Erzählers aus. So wird
am Ende von c.26 sogar eine Göttin spöttisch übertrumpft: Hier wird Thetis
eine Lektion erteilt, und zwar vom Kaiser. Es scheint
immerhin merkwürdig, dass wir von diesen in der römischen Arena so wichtigen
Bereichen nur so wenige Vertreter im Buch finden. Gladiatorenkämpfe bilden
normalerweise sogar den Hauptteil der Spiele, der am Nachmittag stattfand,
nachdem am frühen Morgen meist Tierkämpfe und während der Mittagspause
Exekutionen stattgefunden hatten. Sonderprogramme wie spektakuläre Wassershows
konnten dann noch am frühen Abend folgen. Besonders diese letzte Kategorie hätte
man hier doch viel prominenter in den Epigrammen erwartet.[29] Zum Schluss
dieser Beobachtungen möchte ich daher eine Hypothese formulieren. Da wir im Liber
zuerst vieles über die Tiere und eigentlich auch über die Exekutionen
lesen, dann aber ziemlich wenig über die Zweikämpfe und Wassershows
(namentlich wenn man in Betracht nimmt, wie außergewöhnlich die letzten
waren), und da der erhaltene Text offensichtlich nicht alles ist, was Martial in
diesem Buch geschrieben hat, lässt sich vermuten, dass die theatralische
Struktur der Spiele mehr oder weniger den Aufbau des Buches bestimmt haben muss:
Zuerst die 'kleinen' Nummern, dann am Nachmittag und Abend die Gladiatorenkämpfe
und Sonderspiele. Zweitens darf man davon ausgehen, dass besonders die letzten
zwei Bereiche im verlorenen Teil viel besser vertreten gewesen sein müssen. Die
Frage, warum und von wem der Rest gekürzt worden ist, kann leider nicht
beantwortet werden.[30] Kaiserlob und Selbstlob Das Hauptmotiv
des Kaiserlobes wurde im Vorgehenden schon mehrfach angedeutet. Es ist, genau
genommen, in vielen Dichtungen der römischen Kaiserzeit vorhanden, aber die
meisten Leser dieser Dichtungen scheinen sich für diesen Aspekt wenig zu [p175>]
interessieren, da man es schnell als Heuchelei und Schmeichelei von Tyrannen
wertet und zur Seite schiebt. In letzter Zeit aber wird diesem Motiv unter
Gelehrten mehr Aufmerksamkeit entgegengebracht.[31] Das Kaiserlob
steht im Liber Spectaculorum auf natürliche Weise sogar im Vordergrund,
da die beschriebenen Spiele vom Kaiser selbst veranstaltet wurden. Nicht weniger
als 22 Male liest man den Namen Caesar oder das Adjektiv Caesareus,
entweder in direkter Anrede oder in Beschreibungen. Mit einer gewissen Übertreibung
könnte man sagen, dass der Kaiser die eigentliche Hauptperson des Buches ist.
Die Tiere, Kriminelle, Kämpfer und Artisten werden zwar mit Einstimmung und
Begeisterung beschrieben, aber, wo immer es möglich scheint, lenkt der Dichter
den Blick auf den Kaiser. Es ist nicht
unwahrscheinlich, dass Martial die gute Gelegenheit im Jahr 80 benützt hat, um
einen Traumstart als Dichter zu machen. Sein Werk wird dem Kaiser sicherlich
gefallen haben, weil darin ein glänzendes Porträt von ihm geschildert wurde,
worauf er mit Recht stolz sein konnte. Man hat in jüngster Zeit sogar den
Gedanken geäußert, der Kaiser habe sich aktiv und direkt an der Verbreitung
und 'Publikation' der Gedichte beteiligt, z.B. indem er sie durch seine
Schreiber vermehren ließ und als Propaganda in die Provinzen schickte, genau
wie Erzeugungen der Malerei und Bildhaukunst oft in kluger Weise von Kaisern
politisch eingesetzt wurden. [32] Bestimmte
Aspekte der Gedichte gewinnen einen tieferen Sinn, wenn man sie als mögliches
Material zur Kaiserpropaganda liest. Das gilt z.B. für die genannten oder
angedeuteten Charakterzüge des Kaisers: Macht, Großmütigkeit,
Publikumsfreundlichkeit, Milde und Ehrlichkeit. Der Kaiser macht einen starken
Eindruck als Besitzer der besten Tiere, Gladiatoren und Helfer, als strenger,
aber gerechter Richter und als Nero-Gegner und Freund des Volkes. Vor allem aber
das Element seiner 'Göttlichkeit', die sogar von Tieren anerkannt wird, wäre
propagandistisch hochrelevant.[33]
Leider haben wir keine Spur, die auf Anwesenheit der martialischen Texte in den
Provinzen oder auf irgendwelche kaiserliche Beteiligung an ihrer Verbreitung
deutet. Obwohl der
Kaiser im Liber Spectaculorum durchaus im Vordergrund steht, ist es
vielleicht möglich, in der Gesamtinterpretation noch einen kleinen, aber
wichtigen Schritt weiterzugehen. [p176>]
Das Buch verewigt in humoristischer Weise die Spiele von 80 und die daran
Beteiligten, nicht als historische Dokumentation, sondern in einer solchen
Weise, dass es zu attraktiver Literatur wird. Sie feiert und verewigt in erster
Linie den Gastgeber der Spiele, den Kaiser, und hat damit vermutlich auch ihren
praktischen, materiellen Nutzen für den Dichter gehabt. Die eigentliche
Verewigung aber gilt dem Dichter selbst. Was wir im Liber Spectaculorum
lesen, ist vor allem die dichterische Leistung eines großen, selbstbewussten
Talents, dem es zu verdanken ist, dass die Welt noch immer von der Eröffnung
des Kolosseums redet. Die Spiele
waren bald vorbei, der Kaiser sollte sterben, aber die literarische Gestaltung
in den Epigrammen war, glaube ich, auch wirklich für die Ewigkeit gemeint. Es
passt natürlich nicht zum Genre des Epigramms, diese weitgehenden Ansprüche
explizit zu machen, wie es im Epos üblich war, aber einige Andeutungen dazu
gibt es schon.[34]
Es scheint so, als habe Martial mit diesem anscheinend kleinen Buch und seinem
'niedrigen' Stoff, in dem nicht hoch angesehenen Genre des Epigramms, trotzdem
sehr bewusst auf eigenen Ruhm und eigene Ewigkeit gezielt.[35] Das Liber
Spectaculorum konfrontiert den Leser nicht nur mit unangenehmen Fragen zur
grausamen, römischen Wirklichkeit im Kolosseum und mit vielen unlösbaren
philologischen und interpretatorischen Problemen, sondern auch mit relevanten,
methodischen Fragen zum Verhältnis von historischer Wirklichkeit und Literatur,
und mit Fragen bezüglich des Wesens römischer Kunst. Es würde den Rahmen
dieses Aufsatzes sprengen, darauf tiefer einzugehen, aber man darf davon
ausgehen, dass die römische Sicht der Wirklichkeit deutlich von theatralischen
Mustern und Elementen geprägt war, und dies in einer Weise, die sich nur mit
dem Fernsehen, dem Film und den Computerspielen der modernen Bildkultur
vergleichen lässt. In der römischen Literatur nimmt das Theater auf jeden Fall
einen bedeutenden Platz ein, wie Forscher anderer römischen Schriftsteller in
zunehmendem Mass feststellen.[36]
Martials kleines Buch zeigt es uns nochmals, und es verdient daher die
Aufmerksamkeit neuer Leser. ------------ [p177>] BIBLIOGRAPHIE Barié, P.,
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analysed, particularly the notorious ‘execution epigrams’ (5, 7, 8, and 21).
On the basis of this survey, it is argued that the book originally must have
contained more poems about gladiator combats and naumachiae. Furthermore, the
central role of the Emperor is discussed. Finally, whereas the Liber
spectaculorum obviously celebrates the games of 80 AD and the Emperor who
organised them, the book is suggested to have aimed at everlasting fame of the
poet himself.
* Dieser Aufsatz ist die
schriftliche, deutsche Fassung eines Vortrags, der am 7. Mai, 2004 an der
Universität Kreta gehalten wurde. Der Vortrag fand statt im Rahmen des
Sokratesprogrammes zum Austausch europäischer Universitätslehrer. Ich
danke prof. Stavros Frangoulidis für seinen freundlichen Empfang in
Rethymnon und für seine Hilfe. Eine frühere Fassung des Vortrags wurde am
22. Mai 2003 in München während einer Sitzung der Petronian Society München
präsentiert. Ich bedanke mich auch mich bei
meinem Kollegen dr. Jan van Megen (RU Nijmegen) für seine Hilfe bei der Korrektur
des deutschen Textes.
[1] Ein Beispiel ist die alte Loeb-Ausgabe von Ker (Ker 1919-20), wo statt
Englisch wenn nötig Italienisch verwendet wird. Die neue Loeb-Ausgabe von
Shackleton Bailey (Shackleton Bailey 1993) zeigt hier keine Tabus mehr.
[3] Moderne Studien zu Martial gibt es inzwischen viele, darunter auch einige
hervorragende Gesamtdarstellungen, namentlich Sullivan 1991 und Holzberg
2002.
[4] Vgl. Coleman 1998, 15n1. Liber spectaculorum scheint manchen
Gelehrten passender, zum Unterschied von Tertullians De spectaculis.
Dies ist allerdings nichts anderes als ein rein praktisches Argument.
[5] Für Näheres zu solchen Fragen, siehe Lorenz 2002, S. 56-57 Ein kurzer Überblick
über die wissenschaftlichen Unsicherheiten, die das Buch der Spiele
umgeben, wird auch geboten in Holzberg 2002, S. 39-43.
[6] Della Corte 1986. Dessen Einteilung des lateinischen Textes wurde mit
einigen kleineren Interpunktionsänderungen übernommen in Hunink 2003, der
aber mit c.31 da ueniam subitis...
endet.
[7] Einer meiner Studenten hat sogar die Hypothese aufgeworfen, das Buch der
Spiele sei nicht erst nach den Eröffnungsspielen im Jahr 80 geschrieben
worden, sondern kurz davor, als eine Art Probe, die dem römischen Volk
einen Vorgeschmack der angekündigten, großartigen Spiele geben sollte. So
unwahrscheinlich diese Annahme auch sein mag, (die Gefahr einer vorherigen
Überschätzung und späteren Enttäuschung wäre für den Dichter wohl zu
groß), ausschließen kann man sie nicht.
[8] Moderne Einzelstudien zum Liber
spectaculorum gibt es relativ wenige: siehe allerdings Carratello
1989, Moretti 1992 und Coleman 1998.
[9] Bären: c.7; 8; 11; 15; 21; 22; Stiere: c.5; 9; 16; 19; 22; 23; 28; Löwen:
c.6; 10; 15; 18; 23; 28; Rhinozerosse: c.9; 22; ein Schwein mit Jungen:
c.12; 13; 14; ein anderes Schwein; c.15; 28; ein Wildschwein: c.28;
Elefanten: c.17; 19; ein Tiger: c.18; ein Panther: c.15; ein Büffel und ein
Bison: c.23: ein Hirsch und Hunde: c.29; gar zu schweigen von Verweisungen
auf Ungeheuer: c.28.
[10] Die Tatsache wird von Suet. Titus 7 bestätigt: et tamen nemine
ante se munificentia minor, amphitheatro dedicato thermisque iuxta celeriter
extructis munus edidit apparatissum largissimumque; dedit et nauale proelium
in ueteri naumachia, ibidem et gladiatores atque uno die quinque milia omne
genus ferarum.
[13] 6a: 'Dass dir der streitbare Mars inmitten unbesiegbarer Waffen dient, /
Caesar, ist nicht genug: Venus selbst dient dir sogar.' 6b: 'Dass in dem
weiten Tal von Nemea der Löwe erlegt wurde, / besang die Sage als berühmte
Herkules-Tat. / Das Zeugnis aus der Vorzeit verstumme jetzt! Denn nach den
Spielen, die du uns, Caesar, geschenkt hast, / sahen wir: Das konnte schon
von Frauenhand geleistet werden.' (Übers. Barié/Schindler; in diesem
Aufsatz wird auch weiterhin aus dieser Übersetzung zitiert.)
[14] Im Buch gibt es, genau betrachtet, noch eine dritte, eher futuristisch
anmutende Kategorie der Tierkämpfe: 'Tiere gegen Maschinen' (ein Stier wird
von einem Apparat hochgezogen in c.16, und zwar in zwei dichterischen
Varianten).
[15] Vgl. hier c.19, Z. 1-2. Diesem Stier gelingt es eben nicht, ein anderes
Tier hochzuziehen (Z. 3-4). Jenes Epigramm weist an sich wieder auf ein
anderes zurück, nämlich c.9, in dem ein Rhinozeros einen Stier wie eine
Art Spielzeug hochwirft.
[18] 'Zweifelt nicht mehr daran, dass Pasiphaë sich mit dem diktäischen Stier
verband: / Wir sahen es mit eigenen Augen, und glaubhaft wurde die alte
Geschichte. / Nicht mehr soll sich die Urzeit noch länger selber bestaunen,
Caesar: / Alles, was die Sage besingt, führt dir die Arena vor.'
[19] Alle möglichen Zeugnisse römischer Bestialität bleiben im Reich der
Phantasie, wie z.B. die bekannten Szenen in 10. Buch von Apuleius' Metamorphosen,
wo Lucius, der Esel, mit einer reichen Dame schläft (10,19-23) oder mit
einer verurteilten Verbrecherin im Theater von Korinth kopulieren muss.
[20] So geschah es mit einer 'Pasifaë' bereits bei Spielen unter Nero. Vgl.
Suet. Nero 12 taurus Parisphaen ligneo iuuencae simulacro iniit,
ut plerique crediderunt.
[21] Es wäre sogar denkbar, dass Martial seinen Punkt vor allem mit Worten
macht, als Dichter, also erst durch die bewusste Ambiguität von iunctam
seinen Spottvers gelingen lässt. Das wäre eine Art 'anblinzeln des
Lesepublikums' und ein literarischer Witz höherer Klasse. In diesem Fall wäre
im Text nicht nur der Mythos selber parodiert, sondern auch der historisch
belegte Fall der Pasifaë-Inszenierung unter Nero; indessen mag die
eigentliche Hinrichtung in der Arena dann eher 'normal' ausgesehen haben.
[22] So wird von diesem Verbrecher gesagt, er habe vielleicht 'rasende Fackeln
an dich, Rom, gelegt' (Z.10). Man kann dies kaum anders als eine gescheite
Verweisung auf den dem Kaiser Nero zugeschriebenen Brand von Rom im Jahr 64
interpretieren.
[24] 'Wie sehr wünschest du, Dädalus, als der lukanische Bär dich so
zerfleischte, / du hättest jetzt deine Flügel gehabt!'
[25] Die letzten zwei Zeilen des Epigramms (21b) bleiben mehr oder wenig rätselhaft
und sind noch nicht befriedigend erklärt worden. Für die
Gesamtinterpretation des Gedichts ist das freilich nicht von
durchschlagender Bedeutung.
[26] Das Fehlen jeglichen Mitleids scheint für viele Leser unakzeptabel; man
vergleiche einige Literaturverweisungen bei Lorenz 2002,61. Vielleicht
sollten wir trotzdem versuchen, solche typisch römischen Merkmale der
Martialischen Epigramme besser zu verstehen, statt sie von Anfang an
abzuweisen; vgl. auch die Bemerkungen in Walter 1996,44-5 zum c. 7. Man könnte,
sich in Martial einlebend, sagen: Diese Verbrecher dürfen froh sein, dass
ihr Tod noch Anlass zur Freude und sogar zu Gedichten wird. In diesem Sinne
sterben sie nicht anonym und ruhmlos.
[27] 5,3-4; 7,12; 21,8. Vgl. unter anderem noch: c.1, 7-8; 6b,3-4; 10,5-6;
12,7-8; 16b, 3-4; 18,4-6; 26,7-8; 27,11-12 und 29,11-12.
[28] C.20 (Cäsar lässt beide vom Publikum gewünschten Kämpfer kommen); c.27
((Cäsar lässt zwei Kämpfer beide gewinnen); c.24 (eine Naumachie), c.25
(ein Gedicht über einen Leander) und c.26 (eine tolle Wassershow).
[29] Es lässt sich ziemlich einfach einiges ausdenken, was Martial hätte
schreiben können: z.B. ein Matrose stirbt bei einer Seeschlacht den
Ertrinkungstod. Das könnte heißen, dass er paradoxerweise allein aber vor
tausenden Zuschauern stirbt, oder umgeben durch Feuer ins Wasser sinkt, oder
auf dem Land, in der Mitte Roms, den Ertrinkungstod erleidet. Vielleicht hätte
Martial dichten können über Schiffe, die durch künstlichen Wind segeln,
oder über einen Matrosen, der zwischen zwei Schiffen zermalmt wird (wie in
Lucan 3,652-61). Man könnte sich auch besondere Seeschlachten vorstellen,
wie z.B. eine Schlacht wie im ersten Punischen Krieg, mit als Punier
verkleideten Kämpfern.
[30] Vielleicht war es ein spätantiker Exzerptor, dem vor allem die
Tierepigramme und Exekutionen gefielen, oder ein christlicher Schreiber, der
nur die grausamen Epigramme als Beispiele der dekadenten römischen Kultur
ausgewählt hat (diese letzte, zwar attraktive, aber unbeweisbare Idee
verdanke ich Herrn Prof. Niklas Holzberg). Es kann selbstverständlich auch
eine Frage des Zufalls oder der rein materiellen Umstände gewesen sein:
Vielleicht ist die zweite Hälfte der Buchrolle oder des Kodexes einfach
verloren gegangen.
[31] Hier sei besonders auf Lorenz 2002 verwiesen, der sich ausführlich mit
diesem Thema beschäftigt. Martial gelingt es sogar, stark erotische
Epigramme mit Kaiserlob zu verbinden. Zum Kaiserbild und Kaiserlob im Liber
spectaculorum, siehe besonders S. 55-82.
[33] Für die Göttlichkeit des Kaisers siehe namentlich c.16b,3 (Caesar neben
Jupiter genannt); 17 (ein Elefant verehrt die Göttlichkeit des Kaisers); 30
(eine Antilope empfindet gleichfalls Caesars göttliche Kraft). Für weitere
Andeutungen, siehe z.B. c.10,5-6 (Andeutung), 16,2; 25,2; und 26,8. Vgl.
auch Caesar als Pater Patriae in c.3,12, oder als denjenigen, der frühere
Kaiser übertrifft (z.B. 28,1-3). Der Umstand, dass solche Äußerungen von
bestimmten Lesern immer auch ironisch gelesen werden können, ändert nichts
an ihrem möglichen propagandistischen Wert.
[34] Vgl. am Anfang 1,8 unum pro cunctis fama loquetur opus, woraus man
lesen könnte, dass der Dichter sich für diese Fama verantwortlich fühlte,
und vor allem am Ende 30,12 hanc
norint unam saecula naumachiam. Die subtile Verweisung auf saecula
lässt kaum Zweifel an den tieferen Absichten des Dichters bestehen.
[35] Das Paradox von Ewigkeitsdrang in einem 'kleinen' Genre passt geradezu in
das literarische Klima der flavischen Periode. So spricht Tacitus explizit
von der invidia, die Verfassern in bestimmten höheren Genres droht (Agr.
1). Plinius der Jüngere verwendet gerade das ziemlich unansehnliche Genre
des Briefes für ein gezieltes Programm der unauffälligen Selbstporträtierung
und fast ungemerkten Selbstverewigung, wie in modernen Studien, z.B. Ludolph
1997, klar gezeigt wird.
[36] Man denke hier nur an bestimmte moderne Untersuchungen zu den Romanen des
Petronius und Apuleius. Als Beispiele seien hier genannt Panayotakis 1995
und Frangoulidis 2001. Vgl. z.B. auch eine Studie zum Theatralischen in
Lukans Bellum civile, Leigh 1997. Theatralische Fragen scheinen in
zunehmendem Maße gute Anknüpfungspunkte zur Studie der römischen
Literatur zu bilden.
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