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Vincent Hunink

Besprechung von

Godo Lieberg, Caesars Politik in Gallien, Bochum 1998;


Text publiziert in:  Mnemosyne 53, 2000, 625-7;


In unserem Jahrhundert ist es üblich geworden, Autoritäten mit einem gewissen Mißtrauen zu begegnen. So wird dem großen Feldherrn und Schriftsteller Caesar von den meisten Lesern nicht mehr von vornherein Glauben geschenkt, wenn er seine Kriegsführung in Gallien und anderen Gebieten schildert. Nicht wenige meinen in seinem scheinbar so objektiven Bellum Gallicum eine deutliche Neigung zur Rechtfertigung seiner Tätigkeit als Eroberer oder gar eine klare propagandistische Absicht herauslesen zu können. Seit maßgebenden Studien wie der von Rambaud steht Caesar unter dem bleibenden Verdacht, er habe nicht so sehr der reinen Wahrheit, als seinem eigenen Interesse dienen wollen und eine möglichst positive Selbstdarstellung beabsichtigt.

Es ist lange her, daß Caesar einen so treuen und ergebenen Verteidiger seiner Gallienpolitik gefunden hat wie Godo Lieberg. Denn die Verteidigung Caesars unter allen Umständen scheint wohl dessen erstes und letztes Ziel gewesen zu sein. In seiner Monographie über das Bellum Gallicum findet sich kaum eine kritische Bemerkung über Caesars Tätigkeit und wird eher lobend gesprochen von seinen Leistungen und seinem Genius.

Nach der Behandlung einiger Vorfragen, z.B. über das Prooem (das sich nach L. nur auf das erste Buch bezieht) und die Abfassung der einzelnen Bücher (jahrweise und ohne geschlossene Herausgabe), unternimmt L. seine Caesarverteidigung an Hand einer eingehenden Analyse des ersten Buches, namentlich der Abschnitte über das Verhalten Caesars angesichts der Helvetier und seine Konfrontation mit Ariovist. Anschließend folgen noch zwei kurze Kapitel, die sich mit dem Freiheitsstreben der Gallier (von Caesar anerkannt, aber ohne Folgen für seine Politik) und dem achten Buch (verfaßt von Hirtius) befassen.

L. geht methodisch vor, indem er den Text des ersten Buches meistens Kapitel für Kapitel stilistisch und inhaltlich analysiert. Dabei setzt er sich auch mit den Stellungnahmen anderer Philologen und Historiker auseinander, während auch parallele Quellen aus dem Altertum, wie z.B. Dio und Plutarch, in die Betrachtung mit einbezogen werden. In konsequenter Weise wertet L. das Verhalten Caesars so günstig wie nur möglich. Die von Caesar selbst angeführten Gründe für sein Eingreifen in Helvetien und Gallien werden also durchaus für wahr und aufrichtig gehalten: Er konnte nicht anders, er mußte die Interessen des römischen Staates verteidigen, er wurde provoziert, usw. Kein Wort verliert L. über mögliche selbstsüchtige Motive des römischen Generals. Auch Caesars wohl kaum als defensiv zu bezeichnende Expeditionen nach Britannien bleiben einfach außer Betracht.

Parallele Texte werden von L. nur zur Bestätigung des caesarischen Standpunkts herangezogen. Wenn z.B. Ariovist bei Cassius Dio noch arroganter spricht als bei Caesar selbst, urteilt L., daß Caesar den Mann 'nicht arroganter dargestellt hat, als er tatsächlich war’ (S. 76). Wenn hingegen derselbe Cassius Dio das Gespräch zwischen Caesar und Ariovist (vgl. BG 1,43-45) so zusammenfaßt, daß man sich nicht einigt, weil jener nur befiehlt, dieser aber nicht gehorcht, so heißt dies 'eine extreme Vereinfachung von Caesars Bericht’, welche die wirklichen Positionen verdunkelt (S. 96). Caesars Bericht scheint also immer wahr zu sein.

Mittlerweile wird es wohl klar sein, daß der Rezensent sich von L.s Argumenten keineswegs hat überzeugen lassen. Im Grunde ist es wohl eine Frage des Glaubens: Entweder man glaubt an Caesars Aufrichtigkeit oder nicht, und man argumentiert dementsprechend. Diskussion scheint hier also fast sinnlos.

Einige Bemerkungen möchte ich dennoch anschließen lassen. Bei L.s großen Sorgfältigkeit und Genauigkeit fällt auf, daß er überhaupt keine Unterscheidung trifft zwischen indirekter Rede und freier indirekter Rede. Wenn Caesar den Dialog zwischen ihm selbst und Ariovist in freier indirekter Rede darstellt, so ist gerade dies ein unmißverständliches Zeichen, daß die Information wahrscheinlich in manipulierter oder stark subjektiver Weise gegeben wird; dazu wird ja diese Erzählweise fast immer verwendet. Bedauerlicherweise ist L. sich hier der feinen Möglichkeiten zur Gestaltung der Erzählung nicht bewußt. Überhaupt scheint er den Begriff der Propaganda zu vereinfachen und zu verwechseln mit dem der Lüge und Unwahrheit (vgl. S. 111-2). Sicherlich hat Caesar keine lügenhaften Berichte nach Rom geschickt; es gibt aber andere Methoden, um die Fakten in einem gewissen Licht zu präsentieren oder zu verstellen. Ich nenne nur das Auslassen unerwünschter Elemente.

Zweitens ist es ein wenig enttäuschend, daß L. seine doch grundsätzlichen Thesen nicht deutlich gruppiert und offen zur Diskussion stellt; man muß sie fast zwischen den Zeilen lesen. So wird das grundlegende Prinzip 'solange kein Gegenbeweis möglich ist, muß man methodisch davon ausgehen, daß Caesar die Worte seines Gegners exakt oder doch sinngemäß richtig wiedergibt’ (S. 77) fast versteckt in der Besprechung von 1,34 aufgenommen. Die Diskussion wäre offener, wenn solche Thesen am Anfang oder wenigstens abgesondert dargelegt wären.

Jede Verteidigung von Caesars Gallienpolitik verschweigt am besten die riesige Zahl der gallischen Opfer und Gefangenen (man schätzt sie auf eine Million) und die maßlose Plünderung eroberter Gebiete, wodurch sogar die Goldpreise in Rom erheblich sanken. Sie verweist dagegen z.B. gerne auf die günstigen Folgen für Gallien 'unter römischer Oberherrschaft’, durch die das Land bis zur 'Übernahme Galliens durch die Germanen’ im fünften Jahrhundert Frieden, Sicherheit und Wohlstand gekannt hat. Die Gallier, die 'nie eine Nation’ waren, sind also nach L. mit der Politik Caesars 'gut gefahren’ (vgl. S. 160). Eine solche Verteidigung ist zwar möglich, aber manchem Leser wird sie recht peinlich sein.


Godo Lieberg, Caesars Politik in Gallien. Interpretationen zum Bellum Gallicum, Bochum, Universitätsverlag Dr.N.Brockmeyer, 1998. 186 p. ISBN 3-8196-0564-9.


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